Die romantische Liebe ist zum zentralen Motiv unserer Paarbeziehungen geworden. Dass sie der Kitt zweier Menschenleben ist, ist dabei eine noch recht junge Erfindung. Seitdem hat sich viel getan. In dieser Kolumne beschäftigen sich unsere zwei Autorinnen Lena und Rahel mit dem Ursprung der romantischen Liebe. Wo kommt sie her, wo will sie hin? Ist die Liebe zwischen Swipe links und Swipe rechts nur noch ein Produkt der Liebesökonomie?
Maya war 26, als sich ihr Freund von ihr trennte. Am Boden zerstört, zog sie aus ihrer gemeinsamen Wohnung aus und zu ihrer Mutter zurück. Von der Stadt aufs Dorf, vom Trubel in die Einöde. Irgendwo zwischen Felder und Kühe. Genau der richtige Ort, um von Oskar wegzukommen, dachte sie sich. Lange verheulte Spaziergänge mit alten Klassenkameradinnen, Melancholie im Kinderzimmer.
Doch kaum angekommen, merkte sie schnell, dass auch das Dorf sich in ihrer Abwesenheit verändert hatte. Viele ihrer Freundinnen aus der Kindheit waren mittlerweile verheiratet, hatten bereits selbst Familien gegründet. Und zwar mit Jungs, die damals auf der Gesamtschule in die Parallelklasse gegangen waren. Viele hatten eine Ausbildung gemacht, bei der Sparkasse im Ort oder in der Stadtverwaltung. Währenddessen war Maya nach Berlin gezogen, hatte Literaturwissenschaften studiert, gekellnert, war auf Fachschaftspartys gegangen und hatte Oskar kennengelernt. An Hochzeit oder Kinder hatten die beiden nie gedacht. Warum auch, schließlich waren sie noch so jung. Sie wollten beide erstmal die Welt sehen, ihr Studium fertig machen, Geld verdienen, was erleben. Die Welt war so groß und selbst Berlin wirkte irgendwann berechenbar. Im Gegensatz dazu war Mayas Heimatdorf nun winzig klein.
Auch vor Bekannten und Verwandten musste sie sich bald rechtfertigen. Als Maya auf die Frage einer älteren Nachbarin ehrlich antwortete, dass sie aufgrund ihrer Trennung wieder in ihrem Heimatdorf wohnte, bekam diese große Augen: „Aber Kind, mit 26? Da findest du doch niemanden mehr! Was willst du denn jetzt machen, ohne Mann?“ Solche Begegnungen häuften sich und bald wurde Maya unsicher. War sie wirklich so hinterher?
Woran lag es nur, dass Beziehungen je nach Wohnort so einen unterschiedlichen Stellenwert hatten? In Berlin hatten ihre Freunde ziemlich entspannt reagiert. Naja, man trennte sich halt, wenn es nicht mehr passte. Kein großes Ding, es gab ja genug Auswahl. Berlin war nicht umsonst die Hauptstadt der Singles. Aber warum war das so? Waren Berliner wirklich so freiheitsliebend oder gab es einfach zu viele potentiell bessere Partner*innen?
Nach viel Grübelei setzte Maya sich schließlich an ihren Laptop und machte sich auf die Suche nach Antworten. Sie brauchte nicht lange, um fündig zu werden. Nur was sie las, erstaunte sie dann doch:
Je kleiner die Auswahl, desto geringer die Ansprüche an einen potentiellen Partner. In die andere Richtung galt dann genau das Gegenteil. Je größer die Stadt, je mehr Menschen, desto höher die Ansprüche.
Eine Studie von Royal Society Publishing fand heraus, dass die Partnerwahl sogar davon abhängt, wie ausgeglichen die Geschlechterverteilung in einer Gesellschaft ist. Während die Geschlechterverteilung sich weltweit betrachtet die Waage hält, weisen manche Länder ein starkes Ungleichgewicht auf.
Auf der einen Seite haben Frauen im Schnitt eine deutlich höhere Lebenserwartung. Das fällt insbesondere in Ländern auf, in denen noch eine herkömmliche Rollenverteilung gelebt wird und die Berufe eher körperlicher Natur sind. Oder anders ausgedrückt: Frauen werden älter, weil Männer einem deutlich höheren körperlichen Verschleiß ausgesetzt sind und ihr Alltag gefährlicher ist als der von Frauen. Auch sind Männer öfter Opfer von tödlichen Verkehrsunfällen. Einerseits, weil sie in einigen Ländern mehr Auto fahren als Frauen, andererseits, weil sie einen risikoreicheren Fahrstil haben.
Auch leben Frauen häufig gesünder als Männer. Während Jungs oft schon im Teenageralter zu Drogen und Alkohol greifen, sind Mädchen bedachter im Umgang mit Rauschmitteln. Männer achten darüber hinaus seltener auf ihre Ernährung, sodass mehr Männer als Frauen unter Fettleibigkeit und Herzerkrankungen leiden.
Alles natürlich wie immer abhängig von Bildungsstand, Einkommen, Familienstand und genetischen Faktoren.
Dennoch ist der Unterschied klar erkennbar. So leben in Osteuropa beispielsweise aufgrund der eben aufgezählten Faktoren mehr Frauen als Männer. In den Golfstaaten hingegen gibt es einen deutlichen Männerüberschuss, insbesondere durch die Zuwanderung von Gastarbeitern.
Auch spielen Abtreibungen im Zusammenhang mit dem Ansehen des Geschlechts, sowie Geburtenregulationen häufig eine Rolle. So hat China mittlerweile mit einem klaren Männerüberschuss zu kämpfen und wirbt aktiv für die Austragung von Mädchen.
Die Folgen daraus entsprechen immer demselben Muster: Frauen in China haben mehr Auswahl, sie können sich also in Seelenruhe den besten Partner aussuchen. Stimmt der Charakter? Hat der Mann einen guten Job? Männer hingegen sind (überspitzt formuliert) froh, wenn sie überhaupt eine Partnerin finden.
Diese Begründung gilt, wie man vielleicht bereits merkt, jedoch nur für die heterosexuelle Partnerwahl. Doch auch für alle anderen gilt: Je mehr Auswahl, desto höher die Ansprüche.
Sagen wir, sie bevorzugt große Männer, im Alter zwischen 23 und 35, mit einem Interesse für Theater und das Töpfern, die darüber hinaus auch noch Hunde mögen. Die Chance, dass sie in Berlin, mit seinen 3,6 Millionen Einwohnern gleich ein paar potentielle Kandidaten findet, die ihren Kriterien entsprechen, liegt schon allein rechnerisch signifikant höher, als in ihrem Heimatdorf mit 1300 Seelen. Jetzt nehmen wir mal an, sie dated nun vier Männer in Berlin, die alle ihrem Idealtypen entsprechen, dann werden ihre Ansprüche schnell steigen. Sie kann sich den „Besten“ aussuchen.
Klar, alles sehr idealtypisch dargestellt, schließlich werden auch diese vier Typen sehr wahrscheinlich weiter parallel daten und auch Frauen treffen, mit denen nun wiederum Maya verglichen wird.
Und damit stehen wir auch schon vor dem Dilemma. Ja, man hat im Dorf eine geringere Auswahl, aber das begünstigt eben auch die Wahrscheinlichkeit einer Entscheidung. Denn unser Gehirn ist mit zu viel Auswahl überfordert. Während in der Stadt also gilt: „Sicherstellen, weitersuchen. Die Welt ist groß, die Männer schön!“ Heißt es im Dorf: „Pass auf, da gibt es jetzt Paul, Tom und Dieter. Paul ist dir zu doof, Dieter ist zu alt, also entweder du vergrößerst deinen Bewegungsradius (ist aber aufwendig) oder du wirst mit Tom glücklich. Basta!“ Klingt erstmal hart, ist für unsere Denkstruktur aber die einfachste Möglichkeit.
Je größer unser Bewegungsradius, umso mehr Informationen müssen wir auch verarbeiten. In einer perfekten Welt hätten wir dann irgendwann die vollständige Information. Das ist in der realen Welt aber quasi unmöglich, denn es sucht ja nicht nur Maya einen Partner, sondern auch viele andere Singles. Davon ist dann vielleicht ein Teil auch noch bisexuell oder polyamor und – zack – ist die Situation komplett unübersichtlich.
Richtig verrückt wird es dann, wenn wir jetzt auch noch Datingapps wie Tinder, Grindr und Co. in die Rechnung mit aufnehmen. Denn dann kann Maya theoretisch selbst auf dem Dorf noch Typen kennenlernen, die 40 Kilometer entfernt wohnen.
Die Suche nach der Nadel im Heuhaufen wird fast unmöglich, denn es nimmt mit einer größeren Menge an potentiellen Partner*innen ja nicht nur die Anzahl an Nadeln zu, sondern auch der Heuhaufen wird größer. Da kann man schon mal verzweifeln.
Maya kann sich nun also entscheiden, ob sie es riskiert, sich auf die lange Suche nach dem vermeintlich perfekten Partner zu begeben und unterwegs einige Frösche küsst oder ob sie den Pool kleiner macht und damit vielleicht auch ihre Ansprüche senkt.
So oder so, die ideale Lösung gibt es sicher nicht. Denn mit der Liebe ist es dann eben doch, wie mit jedem wertvollen Gut. Alle wollen sie, wenige finden sie. Dennoch ist es vielleicht ganz schön zu wissen, dass wir unsere Umstände an unsere Bedürfnisse anpassen können. So ist es für Maya mit ihrem Lebensentwurf vielleicht tatsächlich ratsamer in einer größeren Stadt zu suchen, als auf dem Dorf. Fühlt man sich mit dem traditionellen Leben jedoch wohler, so findet man die große Liebe mit Kind, Labrador und Kieseinfahrt möglicherweise schon in der Gemeinde nebenan. Keins ist besser oder schlechter.
Man muss eben nur wissen, was man für das eigene Leben möchte.
Habt euch lieb!
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Bildquelle: Anna Shvets von Pexels; CCO-Lizenz
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